Fleischhauerstr. 67 / 67a

Projektleitung: Petra Woppowa

 

Sanierung des sog. „Nietsches Hof“ von ca. 1874;

Fleischhauerstr. 67 (a) in 23552 Lübeck

 

Dieses reizvolle Projekt begann mit meinem Angebot an die damaligen Eigentümer zur Erstellung einer Projektentwicklung für das Ensemble Nr. 67 und 71; - es war mir zuvor bereits als Fundort für gute Antiquitäten bekannt, und ich war auch gelegentlicher Kunde bei der Familie Nitsche. Und da sie hier selber nicht wohnte, war es ihr nur recht, dass ich auf der Grundlage eines (exklusiven) Entwicklervertrages die Möglichkeit wahrnahm, auf dem Grundstück Nr. 67 (mit dem großen Gewerbe- bzw. Pkw-Hof mit der Bezeichnung 67 a) eine Planung zu entwickeln, die die attraktiven Möglichkeiten einer Nutzungsänderung besser darstellen und den ja beabsichtigten Verkauf der Immobilie einem Kaufinteressenten kaufmännnisch plausibler und ggf. interessant machen würde. 

 

Es folgte eine intensive Befassung mit den Bestandsimmobilien, wodurch recht bald bekannt wurde, welche bedeutende Geschichte der Hof hatte; - waren doch dabei auch die Namen der beiden Mann-Brüder gefallen, „die hier zur Schule gingen“….

 

Dass dabei das von Ulrich Büning verfasste Buch über die Geschichte und Soziologie der Fleischhauerstraße („Die Fleischhauerstraße; Leben im Weltkulturerbe - Altstadt von Lübeck“; Verlag Schmidt-Römhild) besondere Hilfe bot, weil es ein sehr wertvolles und detailreiches Buch über die Geschichte der Fleischhauerstraße und seiner Bewohner:innen ist, sei an dieser Stelle mit Dank und Anerkennung ausdrücklich erwähnt.

 

Die Geschichte der auf uns überkommenen und hier beschriebenen Gebäude im sog. „Nietsches Hof“ begann mit der Einrichtung einer „Höheren Privatschule für Knaben“ im Jahr 1874 durch Dr. phil. Georg Otto Bussenius und der durch ihn veranlassten Errichtung von Gebäuden für den Unterrichtsbetrieb, wozu auch eine Turnhalle gehörte……; - ein für Lübecker Verhältnisse nicht unbedeutendes Gebäudeensemble also.

 

Diese Vor-Schule, an der der ausschließlich männliche Nachwuchs gutsituierter Lübecker Familien auf den Besuch des städtischen Gymnasiums , des Katharineums, vorbereitet wurde und an der später auch Heinrich und Thomas Mann von ihren Eltern angemeldet wurden, war als Betrieb wirtschaftlich sehr erfolgreich und genoss gesellschaftlich hohes Ansehen.

 

Die Sanierung des Ensembles begann 2011/2012 an den Hofgebäuden, einem massiven Gebäuderiegel (Turmhaus, Lang- und Vorderhaus), in dem früher die Klassenräume untergebracht waren, und an einer gegenüberliegenden Turnhalle mit Fachwerkfassade. 

Es ist hier gelungen, aus einem „verbrauchten“ Gebäudekomplex einen Ort moderner Nutzung zu schaffen für differenziertes städtisches Wohnen und Arbeiten in anspruchsvoller Weise; - von der Einraumwohnung mit eingestelltem Funktionskubus bis hin zur großzügigen Loftwohnung in der ehemaligen Turnhalle.

 

Als besonderer Beitrag zur Bauökologie betrachten wir die Entwicklung unseres Heizkonzeptes: über sieben ca. 100 m tief reichende Erdsonden wird die Inanspruchnahme bzw. Verwendung von Erdwärme möglich. Der Wärmetausch erfolgt komprimiert durch eine Wärmepumpe, deren wirtschaftlicher Betrieb durch die Verwendung einer auf dem Turnhallendach installierten Photovoltaik-Anlage wurde. 

 

Das Haupthaus zur Straße ist ein sehr schönes Haus; - mit wertvoller spätklassizistischer Ausstattung Innen und Außen; - und mit noch wenigen gestalterischen Übertreibungen der beginnenden Gründerzeit…….

Tatsächlich aber nimmt man hier den wohl stärksten baulichen Eingriff heute nicht mehr wirklich wahr, da er sich „zwischenzeitlich“ zu einer attraktiven Wertsteigerung des Grundstücks mauserte: der vermutlich 1919 hergestellte Durchbruch durch das Haus zur Schaffung der Hofzufahrt hat die Erschließung des Hofs ermöglicht, ihm aber auch die Beschaulichkeit eines geschlossenen städtischen Raumes genommen; - sei’s drum: die Schönheit der Gesamt-Anlage blieb trotzdem nahezu vollkommen.

 


Bei der Grundriss-Planung des Haupthauses bestand eine große Anforderung darin, den nach dem Durchbruch für die Hofeinfahrt stark eingeschnürten übrigen Grundriss so zu gestalten, dass noch eine attraktive Restfläche angeboten werden konnte. Erfreulicherweise konnte mit der Erstellung des verformungsgetreuen Aufmaßes ein ehemaliges Treppenloch erfasst werden, das uns Anlass bot, die Denkmalpflege nach der Wiederherstellung einer zweiten (internen) Treppe zum OG zu befragen; - was anhand des Befundes gestattet wurde.

Somit war es möglich, über die Flächen von Erd- und Obergeschoß ein sehr ansprechendes Café-Bistro in einer wirtschaftlich sinnvollen Größe zu schaffen.

 

Die in den darüber befindlichen Geschossen liegenden Wohnräume zweier ehemaliger Wohnungen bedurften ebenfalls einer grundhaften Sanierung. Die von dem Bauherrn formulierten Ausstattungswünsche ermöglichten die Auflösung der stark zugeräumten beiden Geschosse und die Schaffung einer großzügigen Wohnung über das 2. Obergeschoß und das Dachgeschoß mit interner Erschließung über die originale historische Treppenanlage.

 

Mit der Sanierung des Haupthauses konnte ein überzeugender Abschluss der bedeutenden baulichen Maßnahmen am sog. „Nietsche-Hof“ gefunden werden. 

 

Viele Führungen und Würdigungen folgten bereits, und das differenzierte Interesse der Besucher:innen zeigte auf, dass die „Wiederentdeckung“ dieses Bereichs der Altstadt in einem öffentlichen Interesse steht: das ehem. Progymnasium des Dr. Bussenius hat eben auch literaturgeschichtlich Bedeutung; - ist dies doch einer der ganz wenigen „noch aufrecht stehenden“ Orte in der Stadt, an denen die Brüder Heinrich und Thomas Mann nachweislich anwesend waren; - und beim Betreten der sanierten Turnhalle darf man sich amüsiert vorstellen, wie hier einst Thomas Mann an Reck und Barren turnte und taumelte.